Elektroautos aus China: Übernahmeangebot

Die neuen E-Autos aus China sind keineswegs erstklassig. Es wäre allerdings fatal und überheblich, daraus abzuleiten, dass sich das nicht schnell ändern kann.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 514 Kommentare lesen
BYD Seagull

Der E-Kleinstwagen BYD Seagull ist interessant als möglicher Exponent einer neuen Zellchemie und als Konkurrent für einen VW ID.1.

(Bild: BYD)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Die chinesische Autoindustrie spezialisiert sich auf Elektroautos. Sie sind preisgünstiger, haben die bessere Software und können am schnellsten laden. In kurzer Zeit werden wenige Hersteller den Weltmarkt dominieren – und die kommen aus China. Diese Thesen fassen die Angst der deutschen Konzerne BMW, Daimler und Volkswagen zusammen. Aber sind BYD und andere wirklich so überlegen? Die Antwort ist wie so oft differenziert.

So sind die Elektroautos chinesischer Marken auf dem deutschen Markt keineswegs automatisch preisgünstig. Ein Nio ET5 (Fahrbericht) etwa kostet inklusive Traktionsbatterie mindestens 59.500 Euro. Dafür bekommen die Käufer 456 Kilometer WLTP-Reichweite. Zum Vergleich: Ein Tesla Model 3 (Test) mit 491 km im Normzyklus ist ab 45.560 Euro (Umweltbonus nicht eingerechnet) zu haben. Ein BMW i4 (Test) eDrive40 mit je nach Bereifung 491 bis 589 km nach WLTP kostet ab 59.200 Euro. Die Botschaft: Nio positioniert sich gegen die Premiummarken.

Ähnlich selbstbewusst geht BYD vor. Beim SUV BYD Atto 3 (Fahrbericht) beträgt der Grundpreis 42.245 Euro für einen kombinierten WLTP-Wert von 420 km. Der vergleichbare Hyundai Kona EV (Test) ist nach dem Modellwechsel noch nicht homologiert, aber der BAFA-Förderliste lässt sich zumindest der Basispreis entnehmen: 36.400 Euro.

Ein Preisbrecher ist dagegen der MG4 electric, der ab 31.990 Euro zu haben ist. Einen Renault Megane E-Tech (Test) gibt es dafür ebenso wenig wie einen VW ID.4. Allerdings berichten einige MG4-Eigner von Ölverlust an der Hinterachse, Rostansatz und zu wenig Information über die Notwendigkeit des Balancings der LFP-Zellen. Probleme, die wahrscheinlich mit dem kommenden Modelljahr behoben werden.

Es wäre ein Fehlschluss, aus der momentanen Preispolitik abzuleiten, chinesische Elektroautos könnten nicht jederzeit viel günstiger angeboten werden. Was beim Händler aufgerufen wird, entspricht dem in Deutschland üblichen Niveau. Anders gesagt: Die Hersteller nehmen das Geld, weil sie es können.

Der Expansionsdrang der Autoindustrie aus China ist noch nicht besonders ausgeprägt. Man bedient zuerst den Heimatmarkt. Europa ist eine interessante Perspektive, die man sich langsam und stetig erarbeitet. So wie bei einem guten Marathon. Was in Zukunft auch bei uns passieren kann, zeigt der Kampf, der um die chinesischen Kunden geführt wird: Ein BYD Seal ist im neuen Modelljahr ab umgerechnet 25.000 Euro zu haben, was offiziell nicht als Preissenkung, sondern als Ergänzungsmaßnahme im Rahmen eines Facelifts deklariert wird.

Die Limousine BYD Seal ist mit der Kombination aus LFP-Zellen und 800 Volt Spannungsebene eines der interessantesten Produkte überhaupt – ab Jahresende auch bei uns. Nur eben zu einem erheblich höheren Preis. Man wolle nicht zur Billigmarke werden, heißt es von BYD. Unter 40.000 Euro läuft wahrscheinlich nichts, zumal der Einfuhrzoll derzeit zehn Prozent beträgt.

Eine unerwartete Schwäche zeigen einige Elektroautos aus China bisher bei der Ladeleistung und folglich bei der Ladegeschwindigkeit. Der BYD Atto 3 braucht laut Werk 44 Minuten, um von zehn auf 80 Prozent zu kommen. Great Wall Motors gibt für die Ora Funky Cat je nach Zellchemie 43 bis 48 Minuten an. Zum Vergleich: Ein durchschnittliches Elektroauto wie ein VW ID.3 braucht 35 Minuten für fünf bis 80 Prozent.

Die Spitze markieren derzeit die Fahrzeuge auf Basis der e-GMP aus dem Hyundai Konzern: Der Ladehub von zehn auf 80 Prozent dauert 18 Minuten. Eine Ladeleistung von bis zu 240 kW liegt nicht nur in einem schmalen Fenster mit eng gesteckten Bedingungen an, sondern in einem breiten state-of-charge-Bereich. Die Vielfalt der e-GMP reicht von Ioniq 5 (Test) und 6 über den Kia EV6 (Test) bis zum Genesis GV70. Und es werden noch mehr.

Eigentlich erwarten viele Interessenten solche Maßstäbe von chinesischen Herstellern. Der Grund dafür ist simpel: China ist zum Zentrum der Batterieproduktion geworden. Die Weltmarktführer CATL und BYD stehen exemplarisch für den Umbruch beim Fahrzeugantrieb.

CATL ist ein Gigant und kündigt in schneller Folge Innovationen an. Weil wir mehrfach darüber berichtet haben, lediglich das Wichtigste in Stichworten: Das Qilin-Batteriesystem soll in zehn Minuten den Ladehub von zehn auf 80 Prozent schaffen. Das würde nicht nur den Battery Swap überflüssig machen, für den Nio in Kooperation mit EnBW zurzeit 20 Stationen in Deutschland errichtet. Vielleicht könnte diese Höchstgeschwindigkeit auch Skeptiker der Elektromobilität an sich überzeugen.

CATL wird außerdem – wie BYD – in Kürze mit der Produktion von Natrium- statt Lithium-Ionen-Zellen beginnen. Der Ersatz vom einen durch das andere Alkalimetall verspricht einen im Vergleich zu LFP-Zellen nochmals bessere Preis bei zugleich erhöhter Dauerhaltbarkeit und mehr Leistung bei Kälte. Diese kurzen Beispiele sind nur ein Ausschnitt dessen, was sich in der chinesischen Produktion und Forschung von Batteriezellen tut. Noch sind diese Fähigkeiten nicht auf der Straße angekommen.

Ähnliches gilt für die Software. Zwar gibt es seit Jahren Berichte, nach denen chinesische Kunden viel Wert auf gute Software und die Integration von Smartphones legen. Auf dem deutschen Markt gibt es aber noch Nachholbedarf: Die hier übliche Implementierung von Google Android Auto oder Apple Carplay ist keineswegs selbstverständlich. Erste Fahrten mit Elektroautos chinesischer Marken offenbaren zudem Defizite bei der Sprache und den Fahrassistenten.

Bei nüchterner Betrachtung sind einige Elektroautos chinesischer Marken also keineswegs erstklassig. Falsch und überheblich wäre nun, daraus den Umkehrschluss abzuleiten, dass sich das nicht sehr schnell ändern kann. Was am meisten beeindruckt, ist die Dynamik in China. Die Entwicklungsfortschritte sind eher Sprünge. Es ist eine Illusion zu vermuten, dass das zu Beginn beschriebene Szenario nicht in wenigen Jahren zur Realität werden könnte, nur weil nach heutigem Stand noch Schwächen erkennbar sind.

Es ist darum erstaunlich, dass es in der Politik der Europäischen Union keine Strategie gibt, um die eigene Industrie konkurrenzfähig zu erhalten. Auch in der Industrie selbst fehlt es am Machen. Das gilt vor allem für die Batterieproduktion, deren Hochlauf in der EU derzeit durch den Inflation Reduction Act in den USA verzögert wird. Zwar gibt es auch bei uns riesige Anstrengungen zum Aufbau. Aber es wirkt, als wäre der Wille zum Handeln gebremst. Dabei müsste jeder inzwischen verstanden haben: Es geht um die Batterien, die Batterien, die Batterien.

Die Kunden wird das alles nur wenig stören. Sie wollen bezahlbar automobil sein. Welches Markenlogo auf dem Elektroauto angebracht ist, mag in der Luxusklasse relevant sein. Für die Masse der Käufer gelten solche Vorgaben nicht. Wenn ein Kleinwagen wie der BYD Seagull mit Natrium-Ionen-Zellen für 10.000 oder 15.000 Euro auch zu uns käme – er würde seine Anhänger finden.

(fpi)