E-Commerce: After the Goldrush

Hintergrund: Der Goldrausch für Dot.coms ebenso wie ihre Aktionäre scheint vorbei, ungeachtet des prognostizierten Booms von E-Commerce und Online-Handel.

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Von
  • Jürgen Kuri

Hintergrund: "Reich mit Internet-Aktien" titeln auch diesen Monat einige der Wirtschaftsblätter, die sich auf die so genannte New Economy im Internet spezialisiert haben. "So verdoppeln Sie Ihr Geld in 3 Monaten" lauten die Versprechen – wer möchte das nicht? Unter den Firmen der Internet-Ökonomie breitet sich allerdings Katastrophenstimmung aus – ungeachtet all der euphorischen Prognosen über den Boom von E-Commerce und Online-Handel.

Schaut man sich die Aktienkurse amerikanischer Internet-Werte der letzten drei Monate an, ist keineswegs eine Verdopplung zu sehen: Wer Anfang des Jahres mit Internet-Werten in die Börsenspekulation einstieg, sieht sich teilweise mit einer Halbierung des Werts seiner Investition konfrontiert. Einen Kursverfall von 30 bis über 60 Prozent mussten einige Internet-Firmen hinnehmen – bekannte wie unbekannte Namen waren betroffen. Der Hightech-Index NASDAQ-100 verlor im Vergleich seit seinem Höchststand Ende März rund 25 Prozent und erholt sich gerade wieder auf den Stand von Mitte Februar.

Eine solche auch nur teilweise Erholung scheint für viele Dot.coms nicht in Sicht. Das Papier von Ivillage, eine Web-Seite speziell für Frauen, die im März 1999 an die Börse ging, verlor in den letzten drei Monate über 61 Prozent ihres Werts. Der CD-Onlineshop CDNow rutsche im selben Zeitraum um 57 Prozent ab; der virtuelle Spielzeugladen eToys knapp über 60 Prozent. eFax, Anbieter von Internet-Messaging-Lösungen, darunter einem kostenlosen Fax-to-Mail-Dienst, musste gar einen Kurseinbrauch um über 77 Prozent in den letzten drei Monaten in Kauf nehmen. Anderen Firmen sehen sich mit ähnlichen Kursverlusten konfrontiert: Bigstar, eine Art Online-Videothek, -57 Prozent, Emusic -64 Prozent, MP3.com -47 Prozent.

Das Ende des Goldrauschs? Es sieht so aus. Immer wieder verschieben Internet-Firmen inzwischen den Gang an die Börse: AltaVista und der Online-Spielzeughändler KBkids.com waren die letzten in einer langen Reihe. Beide Firmen kündigten gleichzeitig Entlassungen von Mitarbeitern an – bei AltaVista machen die 40 gekündigten Angestellten fünf Prozent aller Mitarbeiter aus, KBkids feuerte gleich 30 Prozent. Diese Maßnahmen sind auch für die Internet-Ökonomie nicht mehr ganz neu: Anfang des Jahres musste selbst der Urvater der Online-Shops, Amazon.com, Mitarbeiter entlassen, neben anderen Internet-Firmen wie Beyond.com, Furniture.com oder Value America.

Selbst die Marktforschungsinstitute sehen inzwischen schwarz für die Dot.coms: Forrester und Gartner prophezeiten bereits den meisten Unternehmen der New Economy, die sich nur auf das Internet stützen, keine großen Überlebenschancen. Die Dot.coms befinden sich sogar in einer von ihnen selbst geschaffenen, paradoxen Situation: Einerseits posaunen sie lauthals hinaus, im Internet-Zeitalter zähle nicht Größe, sondern Schnelligkeit bei der Besetzung der Märkte – und genau dies versuchen sie oft durch Größe zu erreichen, indem sie einen Konkurrenten nach dem anderen aufkaufen. So verbrennen die Dot.coms das Geld der Anleger oft schneller, als diese Aktien kaufen können – kein Wunder, dass denen langsam die Geduld ausgeht.

Auf den ersten Blick allerdings erscheinen die düsteren Prognosen für die Internet-Companies dem ungebremsten Optimismus der meisten Marktforscher und Börsianer über den Boom des E-Commerce zu widersprechen. Gerade die Dot.coms sind aber mit Konkurrenten auf ihrem eigentlich angestammten Turf konfrontiert, mit denen sie schon gar nicht mehr gerechnet haben. Klassische Handelsketten und Firmen aus traditionellen Branchen, heißen sie nun Wal Mart oder Macy's, Otto oder Bertelsmann, entdecken das Internet als alternativen Vertriebsweg – ohne auf ihre gewohnten Märkte zu verzichten. Plötzlich wetteifern die Newcomer mit eingeführten und bekannten Marken, die oft auf einen recht loyalen Kundenstamm zurückgreifen können. Versuche, etwa wie Ricardo.de durch eine eigene Kleiderkollektion ein Markenimage aufzubauen, erscheinen dagegen schnell peinlich.

Zudem: Jede Mark und jeder Dollar werden nur einmal ausgegeben; viele der Dot.coms lebten bislang nicht von zusätzlichen, über den normalen Markt einer Branche hinausgehenden Umsätzen, sondern von Verlagerungen aus den traditionellen Verkaufskanälen. Fehlende Kundenloyalität ist dabei eines der größten Probleme, mit dem sich die Internet-Firmen konfrontiert sehen – jeder Konkurrent ist nur einen Mausklick weit weg, ein Fehler, und der Kunde ward nie wieder gesehen. Gerade die Startups haben es dann sehr schwer, mit den ausgefuchsten Lager-, Vertriebs- und Kundenmanagementtechniken der klassischen Branchen zu konkurrieren, die diese auch für den Online-Verkauf einsetzen. Aber auch die Hersteller selbst nehmen zunehmend weniger Rücksicht auf Zwischenhändler und setzen auf Direktvertrieb über das Internet. Wenn selbst Riesen wie Sony ihre Wiederverkäufer zwar bedauern, trotzdem aber ihre Unterhaltungselektronik im Internet feilbieten, bekommen sowohl die Online-Shops als auch die Elektronik-Händler Schwierigkeiten.

Online-Aukionatoren wie Ricardo sind auf der anderen Seite Beispiele, wie E-Commerce offensichtlich auch für reine Internet-Firmen funktionieren kann: Spezielle Verkaufsmethoden oder Geschäftsideen, die nur im Internet für eine breite Kundenschicht funktionieren, machen auch einen Dot.com schnell profitabel – die Online-Warenhäuser dagegen schreiben immer höhere Verluste und kämpfen auch noch gegen Traditionsfirmen, denen Kunden oft mehr zutrauen. So beginnen selbst Online-Shops inzwischen, große Warenlager und eigene Vertriebskanäle aufzubauen. Und Firmen wie Amazon, die ihre Überlebenschance durch Größe suchen, wollen durch besonderen Service auffallen – der Online-Shop liefert in einigen US-Großstädten Waren innerhalb weniger Stunden am Tag der Bestellung aus. Marktforscher betrachten, neben der Konzentration auf spezialisierte Nischen, solche Maßnahmen schon als einzige Zukunftschance der Internet-Firmen – oder, anders formuliert: Was als Tugend der klassischen Ökonomie erscheint, soll auch den Firmen der Internet-Ökonomie das Überleben sichern.

Die Investoren und Aktionäre werden den weiteren Weg der Dot.coms wohl mit Sorge betrachten. Denn eines ist klar: Die bisherige Euphorie ist zu Ende. Das Wirtschaftsmagazin brand eins antwortete auf die Frage "Was ist der größte Erfolg der Internet-Branche?" schon lakonisch: "Die grotesk hohe Bewertung ihrer Aktien." Diesen Erfolg zumindest können viele Internet-Firmen inzwischen nicht mehr für sich verbuchen. (jk)