Interview mit Bundes-CIO: "Alle Behörden müssen ab sofort digital anbieten."

Wie geht es weiter mit der Digitalisierung? Im Interview spricht Bundes-CIO Markus Richter über Föderalismus, Umsetzungsfristen, den E-Perso und die De-Mail.

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Der Jurist Markus Richter ist als Staatssekretär im Innenministerium und CIO des Bundes zuständig für die Digitalisierung der Verwaltung.

(Bild: Henning Schacht / BMI)

Lesezeit: 12 Min.
Inhaltsverzeichnis

Am Mittwoch hat das Bundeskabinett den Entwurf für das Onlinezugangsgesetz 2.0 verabschiedet. Zu den wichtigsten Punkten zählen neue Digitalisierungspflichten vor allem für Bundesbehörden sowie Regeln für das staatliche Online-Nutzerkonto BundID, den E-Perso und das Elster-Zertifikat.

Anders als das aktuelle Onlinezugangsgesetz enthält der Entwurf keine zeitliche Umsetzungsfrist für alle Behörden. Im Interview mit c‘t verteidigt Bundes-CIO Markus Richter diese Entscheidung: Aufgrund des aktuellen Gesetzes müssten alle Behörden "ab sofort digital anbieten". Eine neue Frist berge eher die Gefahr, "dass sich manche nochmal zurücklehnen". Außerdem spricht Richter über den langerwarteten Smartphone-Personalausweis Smart-eID und das "Auslaufmodell" De-Mail.

c't: Herr Richter, das Onlinezugangsgesetz von 2017 verpflichtet neben dem Bund auch die Länder und Kommunen, Hunderte von Leistungen online anzubieten. Wie viele Leistungen der Kommunen und Länder sind inzwischen flächendeckend verfügbar?

Markus Richter: Zahlreiche Leistungen laufen ausschließlich in kommunaler Verantwortung. Da hat der Bund keine Karten im Spiel, und wir monitoren das auch nicht. Aber bei den sogenannten Einer-für-alle-Leistungen kann man das, was vollständig flächendeckend in allen Ländern und deren Kommunen ist, an einer Hand abzählen. Beispiele sind BAFöG Digital und die Einmalzahlung für Studierende. Ansonsten treffen wir auf eine breite Bestandslandschaft, in der es darum geht, die internen Anwendungen der Behörden anzubinden, die sogenannten Fachverfahren.

Hamburg hat im September einen Onlinedienst für die Wohnsitzummeldung eingeführt. Wie viele andere Städte haben diesen inzwischen übernommen?

Richter: Dieser Dienst ist bislang nur in Hamburg verfügbar und gerade erst für die Nachnutzung finalisiert worden. Der konnte vorher noch gar nicht übernommen werden. Es ist aber gut, dass fast alle Länder bereits die Nachnutzung unterschrieben haben. Generell sind viele Leistungen, die viele Menschen interessieren, zumindest gebaut. Jetzt geht es vor allem um das Ausrollen in der Fläche.

Warum dauert das Ausrollen in der Fläche so lange?

Richter: Auf Bundesebene haben wir weitestgehend alles digitalisiert. Da sind auch Leistungen dabei, die viele Menschen tangieren, zum Beispiel die der Bundesagentur für Arbeit. Aber die Musik spielt überwiegend auf Länder- und kommunaler Ebene. Da ist die Landschaft heterogen. Manche Länder geben Leistungen kostenfrei an ihre Kommunen weiter, andere stellen das in Rechnung.

Es gibt auch weitere Herausforderungen. Als Beispiel kann man den digitalen Bauantrag herausgreifen, der von Mecklenburg-Vorpommern realisiert wurde. Wenn man diesen vor Ort einführen will, braucht man entsprechend große Bildschirme, um Baupläne digital zu betrachten. Das ist nur ein kleines technisches Beispiel, es geht etwa auch um Schulungen. Um solche Hürden zu nehmen, ist die Aufmerksamkeit des Managements wichtig. Deshalb hat der Bund jetzt 16 Leistungen besonders in den Fokus genommen, über die sich der Chef des Bundeskanzleramts alle vier Wochen unterrichtet.

Das erste Onlinezugangsgesetz schrieb allen Behörden vor, bis Ende 2022 ihre Antragsverfahren online zu bringen. Ihr Entwurf für das neue Gesetz enthält keine solche Frist. Verschieben Sie damit nicht die Digitalisierung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag?

Richter: Nein, die Umsetzungsfrist des ersten OZG gilt ja noch. Seit 1.1.2023 ist für alle Verwaltungen verbindlich, dass sie ihre Dienste online anbieten müssen. Das ist für mich ein wichtiger Punkt, gerade in Gesprächen mit Kommunen und anderen Verwaltungen. Alle müssen ab sofort digital anbieten. Eine noch kürzere Frist gibt es gar nicht.

Wenn wir eine neue Frist aufnehmen würden, sozusagen eine Schonfrist, wird nichts besser. Dann besteht eher die Gefahr, dass sich manche nochmal zurücklehnen.

Häufig kritisiert wird auch, dass das OZG nur zur Digitalisierung des Frontends verpflichtet, nicht der internen Abläufe in den Behörden. Laut Ihrem neuen Gesetzentwurf soll der Bund seine eigenen Verfahren binnen fünf Jahren Ende-zu-Ende digitalisieren. Warum geben Sie das nicht auch Ländern und Kommunen vor?

Richter: Wir dürfen als Bund nicht in die verfahrensrechtliche Hoheit der Länder und Kommunen eingreifen. Deswegen war uns dieser Weg versperrt. Aber für die Länder haben wir jetzt vorgesehen, dass wir für bestimmte Verfahren mit Zustimmung des Bundesrats ebenfalls eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung vorschreiben können. Das gilt für Verfahren, bei denen der Bund Gesetzgebungskompetenz hat, wie Elterngeld oder Kindergeld.

Das Einer-für-Alle-Prinzip besagt, dass Kommunen und Länder die Onlinedienste von anderen Bundesländern übernehmen. Wie läuft das technisch ab? Buchen die Kommunen die Onlinedienste einfach in der Cloud oder müssen sie alles selbst betreiben?

Richter: Das sind Web-Installationen, das ist technisch wirklich sehr einfach. Das ist ein Aufwand von ein bis zwei Tagen. Die Lösungen werden zentral von einem Bundesland betrieben, damit nicht jeder alles machen muss.

Viele Kommunen wissen aktuell allerdings nicht, wie sie die Dienste langfristig bezahlen sollen. Wird der Bund die Kosten für den Betrieb übernehmen?

Richter: Der Bund ist in Vorleistung gegangen, indem er die Entwicklung und den Betrieb im ersten Jahr finanziert. Wenn nun eine Kommune wissen will, was der Betrieb langfristig kostet, ist das noch nicht bezifferbar. Denn das hängt davon ab, wie viele Kommunen sich anschließen. Diese Unklarheit ist eine Hürde. Deswegen finde ich es gut, dass das Bundeskabinett Eckpunkte verabschiedet hat, in denen für die langfristige Finanzierung ein Topf vorgeschlagen wird, in den Bund und Länder einzahlen. Damit würden wir die Finanzierungsfrage vor die Klammer ziehen. Und die Länder könnten die Dienste den Kommunen kostenfrei zur Verfügung stellen.

Anstatt bestimmte Onlinedienste flächendeckend zu machen, könnten Sie lediglich die Standards definieren, und damit einen Wettbewerb um die besten und günstigsten Dienste anschieben. Warum tun Sie nicht das?

Richter: Wir machen genau das. Faktisch haben wir heute keinen Wettbewerb. Viele Fachverfahren liegen in der Hand von Dienstleistern mit örtlichen Monopolen. Wir haben überwiegend schon Standards definiert und müssen dafür sorgen, dass wir offene Schnittstellen zur Verfügung stellen. Das gelingt besser, wenn die gesamte Verwaltung die Anforderungen einmal definiert, als wenn wir örtliche Monopole zuließen.

Doch wo ist der Wettbewerb, wenn zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern den Onlinedienst für den Bauantrag bundesweit für alle betreibt?

Richter: Der Onlinezugang wird zur Verfügung gestellt und über Schnittstellen zu Fachverfahren findet eine Ende-zu-Ende-Digitalisierung statt. Durch das Definieren dieser Schnittstellen sind wir in der Lage, andere Lösungen zuzulassen und auch mal zu wechseln. So kommen wir stärker in einen Wettbewerb hinein, als das heute der Fall ist.

Es wird auch häufig kritisiert, dass der Bund bislang keine Standards verbindlich vorgegeben hat, obwohl er das Recht dazu hat.

Richter: Wir haben uns mit den Ländern auf einen anderen Weg verständigt. Wir haben für das Einer-für-alle-Prinzip in Verträgen verbindlich festgehalten, wer was leistet, und auch Standards aufgenommen. Insofern haben wir das faktisch realisiert, aber auf eine mitnehmende Art und Weise. Eine Verordnung brächte keinen Mehrwert. Am Ende des Tages ist auch die Frage, wer die Rechnung zahlt. Und wenn es eine Gemeinschaftsaufgabe ist, steuert jeder seinen Anteil bei.

Wie sieht es zum Beispiel bei den Standards aus, die sicherstellen, dass Daten medienbruchfrei von den Onlinediensten in die Fachverfahren fließen? Sind die bundesweit verbindlich vorgegeben?

Richter: Diese Standards sind heute weitestgehend definiert. Es gibt noch Bereiche, die offen sind. Daran wird gearbeitet. Das stellt auch niemand infrage. Schwieriger sind die Release-Zyklen. Man kann noch so viel rechtlich vorgeben, am Ende des Tages muss es umgesetzt werden. Da müssen wir schneller werden.

Wünschen Sie sich eine Föderalismusreform, damit künftig nicht mehr jede Stadt und jeder Landkreis selbst digitalisieren muss?

Richter: Es gibt ja vonseiten vieler Kommunen die Forderung, dass man manche Leistungen in die Bundesverwaltung zurückholt. Ich kann der Diskussion viel abgewinnen. Es gibt viele Verwaltungsverfahren, wie Führerschein oder Kfz-Zulassung, bei denen keine Bezugspunkte vor Ort erforderlich sind. Es macht durchaus Sinn, solche Leistungen zentral anzubieten.

Wichtig für die Digitalisierung ist auch die digitale Identität. Mit der Smart-eID wollen Sie den elektronischen Personalausweis ins Smartphone integrieren, doch bislang gibt nur Samsung seine Smartphones dafür frei. Warum waren die Gespräche mit anderen Herstellern nicht erfolgreich?

Richter: Wir setzen dabei auf eine zukunftsweisende Technik. Wir gehen davon aus, dass künftig auch andere Dienste stärker auf das Secure Element und die eSIM abzielen, genau wie wir mit der Smart-eID. Wir sind also ganz vorne in der technischen Entwicklung dabei. Und wir schauen auf den Digital Markets Act der EU, der die Öffnung von Secure Elements für genau solche Lösungen vorsieht. Das spielt uns in die Karten.

Aber darauf muss man nicht warten. Wir haben heute schon den elektronischen Personalausweis, eine der modernsten und sichersten Identitätslösungen. Das Einzige, was sich mit der Smart-eID ändert, ist die Usability, weil man den Ausweis nicht mehr ans Handy halten muss. Das ist also keine bahnbrechende Neuerung.

Werden Sie die Smart-eID starten, auch wenn nur Samsung dabei ist?

Richter: Ja, wir werden sukzessive mit den Modellen starten, mit denen das möglich ist.

Und wann?

Richter: Ich erhoffe mir, dass wir im Laufe des Jahres Fortschritte machen. Aber ein Tagesdatum kann ich nicht nennen.

Sie haben nun auch entschieden, dass das Elster-Zertifikat bis 2026 als Alternative zum E-Perso genutzt werden kann. Wird das nicht der Akzeptanz des E-Perso schaden?

Richter: Nein. Wir stellen uns flexibel auf. Dass wir neben dem E-Perso auch andere Lösungen wie Software-Varianten und Wallets betrachten, ist das Gebot der Stunde. Aber viele EU-Staaten fragen bei uns nach, wie wir den elektronischen Personalausweis gebaut haben. Wir haben mit ihm ja den großen Vorteil, dass wir gar nicht nach Sicherheitsniveaus unterscheiden müssen, weil er das höchste Niveau erfüllt.

Für die Zukunft setzen Sie also auf das Gespann aus dem E-Perso und dem Online-Nutzerkonto BundID samt Postfach. Wäre es daher nicht an der Zeit, die De-Mail bei Behörden abzuschalten?

Richter: Die De-Mail ist ein Auslaufmodell, trotzdem setzen einige Anwendungen noch stark darauf, zum Beispiel im Waffenregisterbereich. Es kommt jetzt darauf an, wie schnell in diesen Bereichen Ersatz gefunden wird.

Laut Ihrem Entwurf für das neue Onlinezugangsgesetz soll die Nutzung des BundID-Kontos freiwillig bleiben. Heißt das, Bürger werden weiterhin auch Anträge auf Papier stellen können?

Richter: Ja. Wir diskutieren auch das Thema Digital First und Digital Only. Im Unternehmensbereich sehen wir Digital Only vor. Für Einzelpersonen gehen wir in Richtung Digital First, sodass andere Verfahren möglich bleiben.

Trotzdem gibt es bereits jetzt Anträge mit Digitalpflicht, etwa bei der Energiepauschale für Studierende.

Richter: Ich spreche hier über den Kontext des Onlinezugangsgesetzes. Generell kommt es auf die Zielgruppe an. Wir sehen zum Beispiel bei Studierenden eine hohe Digitalaffinität.

Im Dezember läuft eine weitere Frist für die Digitalisierung der Behörden ab, und zwar aus der Single-Digital-Gateway-Verordnung der EU. Wird Deutschland diese Frist einhalten?

Richter: Zum vergangenen Jahreswechsel haben wir als erstes EU-Land die bis dahin zu erfüllenden Informationspflichten für Bürger erfüllt. Das wurde von der EU-Kommission besonders hervorgehoben und gelobt. Wir brauchen uns also nicht zu verstecken. Die Zielvorgabe, dass bis Jahresende alle geforderten Daten automatisch grenzüberschreitend für Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stehen, werden wir nicht einhalten – auch weil die EU bei den technischen Vorgaben mit Verzögerungen zu kämpfen hatte. Nichtsdestotrotz sind wir im europäischen Vergleich vorne dabei. (cwo)