Die wollen doch nur spielen

Über rechte Tendenzen in der Reenactment-Szene

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Dass mancher in der Rollenspiel- und vor allem der Reenactment-Szene nicht ganz richtig tickt, kann ja schon lange klar sein. Besonders, wenn es um die Nazizeit geht, wird da wohl öfter flammenden Herzens mit- als historisch nachempfunden. Wie sehr das Reenactment rechter Propaganda dienen kann, macht derzeit die empörte Erklärung eines Münsteraner Universitätsprofessors klar.

Mit der alternativen Vermittlung von Geschichte ist es ja so eine Sache, zumal in Deutschland. Man nehme nur die Oral History: Wenn Henryk M. Broder vermutet, dass in Deutschland die letzten, durch die Schulen ziehenden KZ-Überlebenden so beliebt sind, weil sie beweisen, dass es so schlimm denn doch nicht gewesen sein kann - immerhin hat es ja Überlebende gegeben - dann ist das vielleicht überspitzt ausgedrückt, aber doch möglich, weil in Deutschland alles möglich ist.

Andere Probleme ergeben sich nun wieder bei der Einfühlung durch Reenactment. Da wären einmal die Großbudget-Reenactors wie Oliver Hirschbiegel. Dass sich bei seinem "Untergang" Neonazis am Set tummelten, war klar, bevor der Film in die Kinos kam.Wie das bei den anderen Großbudget-Reenactments aus der jüngeren Zeit à la "Dresden", "Die Flucht", "Die Gustloff" war, möchte man gar nicht erst wissen.

Dümmer geht natürlich immer, zum Beispiel bei den Leuten, die sich als die eigentlichen Helden des Reenactment begreifen würden. Als die taz Ende letzten Jahres über britische Nazi-Reenactors berichtete, hätte auch dem letzten klar werden können, wo die Reise hier hingeht, aber manche merken es nie.

“Botschaft über die Hakenkreuz-Symbolik in die Öffentlichkeit transportiert“

Der Vor- und Frühgeschichtler Albrecht Jockenhövel hat schon länger was gemerkt, und kürzlich hat er auch was gesagt. Und zwar auf dem 6. Archäologentag in Mannheim. Konkret bezichtigt er die bekannte Reenactment-Gruppe "Ulfhednar" der rechtsextremen Tendenzen. Er schreibt:

Unter diesen Gruppen genießt die Gruppe "Ulfhednar" besonderen Zuspruch, auch den der öffentlich-rechtlichen Medien. Sie traten auf zum Beispiel (nach Homepage Ulfhednar): Keltenmuseum Glauberg, "Pferdeopfer-Reiterkrieger" (2007), Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin (2004), Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (2004), Alamannen- Museum Ellwangen und in mehreren TV-Produktionen von ARD und ZDF.

Es ist aber bei genauem Hinsehen nicht zu übersehen, dass bei fast jedem Nachbau, sei als Borde an der Kleidung, an der Pferdedecke, oder am frühmittelalterlichen Schwert das Hakenkreuz in originaler oder abgewandelter Weise verwendet wird. Ohne archäologische Belege bleibt die zumindest in Berlin gezeigte schwarz-weiß-rote Gruppenfahne mit einem abgewandelten Hakenkreuz-Motiv. In dieser "geballten" Zusammenschau wird ohne Zweifel eine Botschaft über die Hakenkreuz- Symbolik in die Öffentlichkeit transportiert.

Schon lange habe er versucht, seinen Verdacht zu der Faschismus-Nähe der Ulfhednar-Aktiven mit Kollegen zu diskutieren, Erfolg habe er dabei nicht gehabt. Nun mache ein neuer Zwischenfall den Gang an die Öffentlichkeit notwendig:

Anläßlich einer museumspädagogischen Rahmenveranstaltung der Paderborner Ausstellung "Eine Welt in Bewegung" wurde puren Zufalls folgendes "enthüllt". Die Ulfhednar-Gruppe war unter großem Zulauf des Publikums aktiv. Die zunehmende Sonnenwärme führte am Nachmittag dazu, dass ein Mitglied sein Wams auszog. Es kam der bloße Oberkörper und Bauch zum Vorschein. Auf ihm war in gotischer Schrift eintätowiert: "Meine Ehre heißt Treue". Es handelt sich bekanntlich hier um den Leitspruch der SS. Ihn in der Öffentlichkeit zu nennen oder zu tragen, ist nach Strafgesetzbuch § 86a ein Straftatbestand. Ein Foto hat dies festgehalten und es liegt mir vor.

Unter dem "germanophilen" Wams mit mehr oder minder geschickt getarnten Anspielungen also die knallharte SS-Nostalgie - das wäre nun wirklich nichts Neues. Mit solchen Spielchen haben sich Neonazis abgegeben, seit die Symbole ihrer historischen Vorbilder verboten wurden. Und wenn sogar Feuerwehrleute bei öffentlichen Wettbewerben mit Hitlersprüchen auf dem T-Shirt aufkreuzen, dann braucht man sich wirklich über gar nichts mehr zu wundern.

Wolfskrieger germanischer Sagen

Neu und anders bei Ulfhednar wäre natürlich die per Reenactment- Schiene gegebene Propagandawirksamkeit. Auf der Homepage der Gruppe gibt man sich betont neutral:

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Seltsam ist allerdings schon der Name der Gruppe. Warum man sich nennt wie die mythischen Wolfskrieger germanischer Sagen, die, den Berserkern nahe verwandt, sehr wohl für sattsam bekannte germanische Lieblingseigenschaften wie Rücksichtslosigkeit, Unbesiegbarkeitswahn und antirationale Besinnungslosigkeit stehen können, ist doch sehr die Frage, es sei denn, man möchte sich bewusst mit dem eisigen Ruch dieses in der Nazizeit aufgewärmten Germanenterrors umgeben. Seltsamer wird das Ganze dann noch bei den verdrucksten Erklärungen zum Selbstbild der Gruppe:

An erster Stelle Naturverbundenheit, Achtung der Schöpfung, Anstand, Niveau, Ehrlichkeit, Bildung.
Unser Prinzip ist Leistung. Wir schätzen Menschen die in der Lage sind, das was an positiven Eigenschaften in Ihnen steckt, auch selbstbewusst und engagiert zum Ausdruck zu bringen, sei es durch Handwerk, oder künstlerisch-literarische Tätigkeit.

Die Gruppe hat ein internationales Gesicht mit Mitgliedern in Polen, Tschechien und Frankreich, dazu unterhält Beziehungen nach Russland, sowie zu nordamerikanischen Indianern. Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht ein Europa, dass sich seiner gemeinsamen Wurzeln bewusst ist, die Fehler der Vergangenheit erkennt und für die Zukunft in der Lage sein sollte, diese Erkenntnisse auch positiv umzusetzen.

Schon die leiernde Beschwörung der Sekundärtugenden, bei denen eigentlich nur noch die "Sauberkeit" fehlt, macht stutzig. Die eigenartige Europatümelei unter Betonung der "gemeinsamen Wurzeln" passt nur zu gut zu neuen und alten Sehnsüchten der Nazis nach einem in ihrem Sinn geeinigten Europa (PDF-Datei) und wer Esoterik ablehnt, kann das auch tun, weil er viel lieber harte Politik machen will.

Indianerglorifizierung und besonders enge Russlandbeziehungen sind ebenfalls gern genommene Elemente einer besonders deutschen Ideologie. Besucht man die Kunstsparte der Ulfhednar-Website, stößt man auf die "barbarische Kunst" eines gewissen "Arian Ziliox", der nicht nur darum bittet, die Ahnen nicht zu vergessen, sondern ebenfalls zweideutige Erklärungen mit eigenartigen Subtexten anzubieten hat:

Ziel ist es, unseren Vorfahren ein lebendiges und realistisches Profil zu geben, sie greifbar zu machen und auf eine gleichberechtigte Ebene innerhalb einer europäischen bzw. weltweiten Völkerfamilie zu stellen - frei von Klischees, Tabuisierung oder unseriösen Esoteriktrends.

Dass die gezeigte Kunst an Grauenhaftigkeit jeden Nazi-Schinken zum Thema spielend in den Schatten stellt, ist ja hier nicht relevant - aber kann es Ziel der Wissensvermittlung sein, Reenactment-Gruppen bei populärwissenschaftlichen Veranstaltungen auflaufen zu lassen, die den Zuschauern die Erinnerung an das dampfende Germanentum dringend anraten? Ehrenrettung "unserer" Vorfahren? Wieso haben die das eigentlich nötig? Oder sind eigentlich viel modernere Vorfahren als die Merowinger gemeint? Zusammen mit dem von Jockenhövel beobachteten Selbstenblößungen eines Ulfhednar-Mitglieds bekommt diese Pädagogik jedenfalls eine eindeutige Schlagseite: Es scheint tatsächlich um den „alten Kack im alten Frack“ zu gehen.

Und wenn sich schon mal ein Akademiker aufrafft, etwas zum Thema zu sagen - das kommt viel seltener vor, als man meinen sollte - und wenn er es auch belegen kann, dann sind seine Kollegen und Kolleginnen, die Verantwortlichen in den Museen und den Sendeanstalten gut beraten, die Ohren aufzusperren, und sich genau anzusehen, wen sie für ihre Reenactment-Bedürfnisse buchen.